Das Weltmeer und das Anderdunkel

aus: Ahnenweisheit - Das verborgene Wissen der Arbaren, 1975 Geminginhol-Verlag, Isla

 

In den alten Liedern heißt es, wenn über die Urzeit gesprochen wird, immer zunächst, dass der Kjahullir noch nicht im Meer war und es keine stürmischen Wogen gab. Doch warum beginnen die Urzeit-Lieder unserer Ahnen immer so? Es gibt kein arbarisches Lied, das einen Vers enthielte, im Anfang sei alles nur Meer gewesen, denn wenn wir alle auf uns gekommenen Lieder über die Urzeit betrachten, müssen wir feststellen, dass unsere Vorfahren anscheinend gar keinen Schöpfungsmythos kannten: Die Welt war auch in der Urzeit schon da. Dennoch gibt es in den einzelnen Lieder Spuren und wenn wir diesen folgen, finden wir die Vorstellung dass die Welt aus einem großen Meer besteht, aus dem sich, nur an einem Punkt, das Land erhebt, auf dem die Menschen leben. Das Weltmeer ist für unsere Vorfahren, die nie große Seefahrer waren, das Sinnbild des urtümlichen Chaos und in den Liedern über das Ende der Urzeit wird deutlich, dass unsere Vorfahren das Weltmeer mit dem Anderdunkel verbanden. Obwohl unsere Vorfahren durch ihre Lieder wussten, dass der Kjahullir ins Meer geworfen wurde, fürchteten sie doch jedes tiefere Gewässer, da er auch darin lauern könnte - denn, auch wenn es in keinem Lied ausdrücklich erwähnt wird, scheint die Vorstellung geherrscht zu haben, dass das Land eigentlich nur eine auf dem Weltmeer schwimmende Insel wäre. So gesehen ist es logisch, dass ein Meeresungetüm auch in den tiefen von Seen oder unteridischen Wassern lauern könne. Diese Vorstellungen können heute, in einem Zeitalter in dem wir die Gestalt unserer Welt aus dem All betrachten können, natürlich nicht mehr überzeugen.

 

Warum sie das "Weltmeer" jedoch scheinbar mit dem "Anderdunkel" gleichsetzten, mag uns heute dennoch einleuchten: Das Meer war für sie unverständlich und unberechenbar, wie das Anderdunkel. Und wie Geister aus dem Anderdunkel unvermittelt auftauchen können, so können es die Meeresbewohner, deren Bewegungen von der Oberfläche aus nicht oder nicht gut gesehen werden können. Bei der Vorliebe unserer Vorfahren für eine bildliche Sprache, kann daher auch nicht ganz ausgeschlossen werden, dass das "Meer" oder spezielle das "Weltmeer", ursprünglich nur ein bildhafter Ausdruck für das Anderdunkel war. Doch wenn wir dies Bedenken, dann ergeben sich plötzlich ganz neue Deutungen für die alten Lieder, denn dann besingen sie, dass in der Urzeit der Kjahullir nicht im Anderdunkel war und, wenn wir die "stürmischen Wogen" als die verderbnisbringenden Risse interpretieren, die Trennung zwischen dem Anderunkel (Meer) und unserer Realität (dem Land) noch intakt war. Doch das hieße, dass der Kjahullir, denn wir gemeinhin als Ausdruck des Altvorderen der Tiefe verstehen, eben keine einheimische Entität des Anderdunkels war - nur wenn das stimmte, was wäre er dann?