Das Arbare

"Arbare" ist die echyrische Bezeichnung für die weiten, in der Antike von urtümlichen Wäldern bedeckten Gebiete im Nordwesten, noch jenseits des damals als unzivilisiertes Grenzland betrachteten Arros. Seine Bewohner, die von den Echyren einfach Arbaren genannt wurden, galten als unzivilisierte Wilde, kaum besser als Tiere, die in vielen antiken Berichten aus dem Phalopos auch kaum von tatsächlichen verdorbenen Tiermenschen zu unterscheiden sind. Doch wer waren die antiken Arbaren, deren einziger Beitrag zur Geschichte über lange Zeit die Überfälle auf arroische Siedlungen waren?

  

Auf der Spur der Arbaren

"Die Arbaren" - die gab es in der Antike eigentlich noch gar nicht, jedenfalls nicht im Selbstverständnis der Völker und Stämme, die in und am Bezilla-Wald lebten, den sumpfigen Foslach-Ebenen Land abtrotzten oder dem kalten Kulskirra die Stirn boten.

In ihrem Selbstverständnis waren die Menschen dieser nördlichen Weltgegend kein einheitliches Volk. Die teilweise noch bis weit in die Antike hinein halbnomadisch lebenden Großfamilien waren zunächst nur sich selbst und eventuell noch einer Sippe verwandter Großfamilien verpflichtet. Die großen Schlachten zwischen den "Völkern", die zahllose Heldenlieder überliefern, wurden oft zwischen 50 bis 100 Kriegern - beide Seiten zusammengezählt - entschieden.

Erst zur Mitte der Antike hin schlossen sich mehrere Sippen zu einem Stammesverbund zusammen, anfänglich meist nur, um gemeinsam in das immer besser geschützte Arros einfallen zu können. Es dauerte bis in die Spätantike, dass diese Stämme ein stabileres Gefüge bildeten und sich gegenüber anderen Stämmen deutlich abgrenzten. Während der Klassik bildeten sich schließlich langsam die ersten Stammeskönigreiche, zunächst nach arroischem später nach arrosevischem Vorbild.

Doch obwohl die "Arbaren" sich nie als ein Volk verstanden (das "arbarische" Volk ist eine Schöpfung, die erst in der Zeit um die Magische Revolution forciert wurde, als die nordwestlichen Staaten sich vom echyrischen Süden abgrenzen wollten), hatten sie mehr gemeinsam, als dass sie sich zu plündernden Horden zusammenschlossen: eine gemeinsame Sprache, eine gemeinsame Mythologie und eine gemeinsame soziale Struktur.

 

 

verbunden durch Sprache

Antikes Arbarisch im Vergleich zum Echyrischen und der klassischen Echyro-Arbarichen Mischform
Antikes Arbarisch im Vergleich zum Echyrischen und der klassischen Echyro-Arbarichen Mischform

Das antike "Arbarisch" war natürlich wie die meisten antiken Sprachen von teilweise stark unterschiedlichen Dialekten geprägt, die sich durch die Aussprache bestimmter Laute, abweichendes Vokabular und nur regional verbreitete grammatische Formen unterschieden. Dennoch konnte das "Arbarische" von den Angehörigen aller Sippen gut genug verstanden werden, als dass sich bereits früh ein gemeinsamer Schatz von Göttermythen, Heldenliedern und belehrenden Märchen im gesamten Siedlungsgebiet ausbreitete - vermutlich bereits früh durch wandernde Sinner ("Geschichtenerzähler"). Diesen Sinnern ist wahrscheinlich auch die Einführung und Verbreitung einer genuin "arbarischen" Schrift zu verdanken, die sich in Form von Ritzzeichen zunächst ohne den Einfluss südlicher Schriftsysteme entwickelte.

Verbunden durch Glauben

Die überall verbreiteten Geschichten führten bald zur Herausbildung eines gemeinsamen Pantheons, das lokal zwar durch weitere Gottheiten ergänzt wurde, aber stets einen gemeinsamen Kern besaß. Alle "Arbaren" verehrten Ertius, die Eldar Muder, Ruck, die Sturma Muder und Erkisai, die man sich überall in Tiergestalt dachten. Auch der jüngere Dôdig Heljar war weit verbreitet. Neben diesen Gottheiten, über die an anderer Stelle mehr erzählt wird, gab es auch Heldenlieder und Märchen, die überall fast gleich erzählt wurden und nur selten an lokale Begebenheiten oder Ereignisse angepasst wurden.

Von Freien und Unfreien

Die Gesellschaft der "Arbaren" bestand von Alters her aus Esgern (Asger, der "Freie") und Trellern (Traller, der "Sklave"). Ein Traller war meist ein in der Sippe lebender Kriegsgefangener, oder der Nachfahre eines solchen; erst später kauften die "Arbaren" auch Sklaven von südlichen Sklavenhändlern. Die Esger waren die Angehörigen einer Sippe, die einander weitestgehend gleichberechtigt waren. Obwohl sie dem Gewohnheitsrecht nach mehr Rechte und andere Pflichten als die Treller hatten, waren Esger und Treller oft kaum voneinander zu unterscheiden. Innerhalb einer Sippe genoss der Gemicher ("Älteste") den größten Respekt und kann als Sippenoberhaupt verstanden werden. In der Frühzeit handelte es sich bei ihm in der Regel tatsächlich um den ältesten Mann oder die älteste Frau der Sippe, später wurde der Titel erblich und ging je nach Sippe auf die Männer oder Frauen einer bestimmten (Teil-)Familie über. Etwa zu dieser Zeit wechselte auch die Bezeichnung und wir hören immer häufiger von einem Arela ("Fürsten"). Die Arela wurden dann bald mehr als nur die profanen Oberhäupter ihrer Sippen und wurden auch zu religiösen Oberhäuptern, die kultische Riten leiteten und abhielten, die für das Wohl der gesamten Sippe wichtig waren.

Als die "Arbaren" begannen sich in Stämmen zusammenzuschließen, kamen die Arela unregelmäßig zusammen um sich zu beraten und in Kriegszeiten einen Arax ("König") aus ihren Reihen zu bestimmen. Der Arax war zunächst nur ein auf Zeit bestimmter "Kriegshäuptling", doch in der Spätantike wurde auch dieser Titel langsam erblich, nachdem er zunächst auf Lebenszeit vergeben worden war.

"Arbarische" Krieger verzierten bereits in der Frühzeit ihre Körper mit Tätowierungen, doch dieser Körperschmuck wurde in der Antike immer komplexer. Bald gab es ein bestimmtes Arsenal an Bildzeichen, die nicht nur über die Zugehörigkeit zu einer Sippe und einem Stamm Auskunft gaben, sondern auch über die Taten ihrer Träger berichteten. Dieser Brauch der Krieger griff dann auch auf andere Bereiche über und bald waren sie vielerorts das einzige verlässliche Zeichen, um einen Asger von einem Traller zu unterscheiden. 

Vom Initiationsritus zur Gesellschaftsform

Das später so bedeutende und einzigartige Gesellschaftssystem der Horger hat seinen Ursprung im Brauch der Hunval (der "Männerweihe"). Dieses Ritual, das von den Echyren bereits in der Antike als  Pädophilie verunglimpft wurde, begann mit einem Menschenraub: Ein älterer Krieger erwählte einen Heranwachsenden (kir, ein etwa 15 bis 20 Jahre alter Junge) und entführte ihn. Vor der Entführung musste er den Altersgenossen des Jungen seine Absicht ankündigen. Diese durften den Plan nicht verraten, denn dadurch hätten sie die Ehre des Jungen verletzt; wenn der Entführer jedoch aufgrund seines Ansehens nicht als würdig erschien, durften sie einschreiten. Der Krieger, der usprünglich Ber ("Entführer") später aber bereits Horger ("Ausbilder") genannt wurde, brachte den Entführten (tiner, ursprünglich "Entführter", später eher als "Schüler" verstanden) dann zu einem Ort seiner Wahl, der meist in den Bergen oder einem abgeschiedenen Wald lag. Dort lebten die beiden zwei Monate außerhalb der Sippengemeinschaft und der Entführte erlernte von seinem Entführer zu kämpfen, zu jagen und in der Wildnis zu überleben. Nach diesen Monaten gab der Entführer den Entführten in einer kleinen Zeremonie wieder "frei" und beschenkte ihn mit einem Chald (Wickelrock) und einem Sug (Becher), in manchen Sippen auch mit einem Navern (Bärenwolf), wodurch der Junge zu einem Mann wurde. Der Chald war dabei das sichtbare Zeichen des Erwachsenseins und war lange noch die rituelle Bekleidung der Männer, selbst als sich im Alltag längst Hosen durchgesetzt hatten. Der Sug war das Symbol der gegenseitigen Liebe und Verbundenheit, die zwischen Horger und Tiner gewöhnlich ein Leben lang hielt und bald als wichtiger angesehen wurde als die Beziehung zwischen Vater und Sohn. Der Navern war ein Symbol der Treue.

War es ursprünglich eine besondere Ehre ein Tiner gewesen zu sein, verbreite sich dieser Brauch bald so sehr, dass er zu einer festen Institution für alle Esger wurde. Obwohl die "Arbaren" zu keiner Zeit Verbote oder Tabus zur Homosexualität entwickelten und eine sexuelle Beziehung zwischen Horger und Tiner nicht verboten war, entwickelte diese sich in den bezeugten Fällen erst Jahre nach der Hunval, bei der es keine sexuellen Komponenten gab (den Berichten echyrischer Gelehrter zum Trotz).

Anders sah es bei der Rasbval ("Frauenweihe") aus, die auf uralte Fruchtbarkeitsriten zurückging. Die jungen Mädchen wurden in die Obhut einer Muder (Mutter) gegeben, die oft in die geheimen Riten der Kalma eingeweiht war. Diese, meist ältere, Frau unterrichtete die Mädchen einige Wochen lang in bestimmten religiösen Riten, klärte sie aber auch sexuell auf und machte sie mit dem Verlauf von Schwangerschaften vertraut. Den Höhepunkt bildete das Gela ("Stechen") mit dem Rakas ("Horn"), einem hölzernen Phallus, der dem Gott Arbas geweiht war. Die Muder penetrierte die Mädchen damit, um sie so auf die Vereinigung mit einem Mann vorzubereiten und gleichzeitig ihre Fruchtbarkeit zu gewährleisten. Diese ritualisierte Vergewaltigung wurde jedoch bereits in der Antike zunehmend von den "Arbaren" selbst abgelehnt und ist seit der Spätantike nicht mehr bezeugt. Die Rasbval näherte sich schließlich der Hunval an und enthielt, abseits eines Aufklärungsunterrichts, keine sexuellen Komponenten mehr.

Die beiden Initiationsriten führten dazu, dass die jungen "Arbaren" neben ihren Eltern eine neue Bezugsperson (Horger bzw. Muder) erhielten, deren Bedeutung bis zur Spätantike hin immer bedeutsamer wurde. In der Spätantike wurde es üblich, sich dann mit Bezug auf seinen Horger bzw. seine Muder vorzustellen, anstatt den Namen des Vaters oder Mutter zu nennen. Im Zusammenspiel mit einer, im Vergleich zu anderen Völkern, einzigartigen Form des Zusammenlebens entwickelte sich in der Klassik schließlich das System der Horger, bei dem die leiblichen Eltern kaum noch von Bedeutung waren.

Obwohl die die "Arbaren" mit der Mirnval ("Liebesweihe") eine Form der Ehe zwischen Mann und Frau kannten, wurde es in der Antike zunehmend unüblich, dass Männer und Frauen gemeinsam wohnten. Die Männer und Frauen einer Sippe lebten, in größeren Sippen getrennt nach ihrem Beruf, in Geschlechterhäusern, selbst wenn sie eine Ehe geschlossen hatten. Dies hatte seine Ursprünge wohl in der eher lockeren Sexualmoral der "Arbaren", die sich innerhalb der Sippe oft ohne feste Ehe in Liebesverhältnisse begaben, diese aber später einfach wieder lösten. Die Kinder, die aus diesen Liebschaften hervorgegangen waren, wuchsen dann je nach Geschlecht bei ihrem Vater oder ihrer Mutter auf. Daraus entwickelte sich bereits in der frühen Antike ein Verständnis, demnach Kinder der Sippe als ganzes gehörten und spezielle Veller (Valler, der "Versorger") sich ihrer Annahmen. In der Klassik wuchsen Kinder dann nahezu überall in der Obhut eines oder einer Valler auf und wurden von diesen gemäß ihrer Fähigkeiten und Neigungen bestimmten Horgern empfohlen, die diese schließlich in einem bestimmten Beruf ausbildeten. So kam es, dass Valler und Horger nicht nur die Aufgaben der Eltern übernahmen, sondern auch emotional an ihre Stelle traten.

Dieses System hat sich in vielen nordwestlichen Ländern bis heute gehalten und auch heute ist es dort noch üblich, dass Männer und Frauen getrennt von einander in Gemeinschaftshäusern leben. Wie bereits in der Klassik gibt es auch heute noch Mirngota ("Liebeshäuser"), in denen heterosexuelle Paare zeitweise beisammen wohnen können; denn eine längere, enge Beziehung ist dort noch heute unüblich.

Das Mirngota geht dabei auf das antike Ritual der Mirnval zurück, bei dem die Eheleute für drei Tage und Nächte in eine Höhle oder ein Zelt gesperrt wurden und erst nach ihrem Verlassen als Mirnven ("Liebende") galten.

 

Aus dem Lexikon des Arbarischen Aberglaubens

Dachs. Wenn ein Dachs durchs Dorf streift, naht der Krieg. Der Dachs war bei den alten Arbaren eines der heiligen des Strediu Heljar, des Kriegsgottes. Das Erscheinen dieses sonst scheuen Tieres in einer Siedlung wurde als "Musterung des Dachses" angesehen und als Zeichen heraufziehenden Krieges gedeutet.

 

FeuerFeurige Geheimnisse. Die alten Arbaren glaubten, dass die Elda Muder alles, was in Gegenwart eines Feuers gesprochen wurde, hören konnte. Da sie als katschsüchtiges Weib galt, nahm man an, sie teile ihr Wissen mit den Feuerhüterinnen, ihren Priesterinnen. So wurde "feurige Geheimnisse" zu einem geflügelten Wort für allseits Bekanntes.

 

GansEin Bett aus Gänsedaunen erleichtert die Geburt. Dieser Aberglaube geht auf die Gans als heiliges Tier der Sturma Muder zurück. Man glaubte, dass die geburtshelfende Kraft der Göttin durch die Daunen ihrer heiligen Tiere auf die Gebärende übergehe.

 

HaseHasenfleisch macht impotent. Die Alten sahen im Hasen das heilige Tier des Gottes Karnas. So entstand der Aberglaube, dass ein Mann, der das heilige Tier des Gottes männlicher Fruchtbarkeit und Potenz erlegte und verzehrte, vom rachsüchtigen Karnas mit Impotenz gestraft würde.

 

HonigHonig verleiht dem Krieger große Kraft. Die Überzeugung, Honig verleihe dem Krieger Kraft und Stärke, geht auf den Bärengott Ertius zurück und die Beobachtung, dass Bären sich über Honig hermachen. Dies führte dazu, dass Krieger vor Schlachten oft honiggesüßte Speisen und Getränke zu sich nahmen, sich mit Honig einrieben oder ihre Haare mit Honigwasser zu imposanten Frisuren modellierten.

 

KranichWer einen Kranich fängt, hat einen Wunsch frei. Die alten Arbaren sahen im Kranich das heilige Tier des neugierigen Himmelsgottes Turanas, der auf seinem Flug alles Mögliche Erfuhr und daher fast allwissend war. Wer einen Kranich fangen konnte, konnte als Preis für seine Freiheit angeblich die Antwort auf eine Frage erhalten. Später erwuchs daraus die Vorstellung, der Kranich erfülle einen beliebigen Wunsch.


NebelIm Nebel kehren die Toten zurück. Der Nebel wurde von den alten Arbaren als Erweiterung des Nefelmal, des Nebelreichs der Todesgöttin Erkisa, verstanden. Während der Asiranisierung entwickelte sich der Aberglaube, mit dem Nebel kehrten die Seelen der nicht verbrannten (und so auf asiranistische Weise bestatteten) Toten aus dem Totenreich zurück.

 

RotkelchenWer ein Rotkehlchen sieht, darf sich etwas wünschen. Dieser Aberglaube geht auf das heilige Tier des Dôdig Heljar zurück, der allgemein als helfender Gott verstanden wurde. Man glaubte, er würde in Gestalt eines Rotkehlchens durch die Welt streifen und wer ihn in dieser Gestalt um Hilfe bat, könne mit seiner Hilfe rechnen.

 

WolfWenn der Wolf heult, klagt er über seinen Mord. Wolfsjagd. Die Alten glaubten, der Gott Karillus verwandle die Seelen jener, die in der Wildnis den Tod fanden, in Wölfe. Wolfsgeheul in der Nähe von Siedlungen galt daher als Anklage der Toten gegen die Lebenden, die einen Mörder unter sich beherbergen sollten. Damit in Zusammenhang stehen die Wolfsjagden, bei denen man, manchmal durch Folter, einen, möglicherweise Unschuldigen, des Mordes überführte. Noch heute bedeutet "Wolfsjagd" eine falsche Anschuldigung vorbringen.