Geschlechtergerechtigkeit

 

„Geschlechtergerechtigkeit“ ist selbst heute noch ein heikles Thema. In wissenschaftlichen, politischen aber auch gesellschaftlichen Diskursen, wird sie immer wieder ins Spiel gebracht und bisweilen und gerade in jüngerer Zeit als Kampfbegriff.

 

Aus dem gesellschaftswissenschaftlichen Diskurs stammen drei Dichotomien, die immer wieder aus der Mottenkiste hervorgeholt werden. Wissenschaftshistorisch ist die „anachrestardische Dichotomie“ (Agokyrea gegen Pyrikyrea) der älteste dieser drei Erklärungsansätze, während die Gesellschaftsgeschichte das „burchomische Prinzip“ und die daraus resultierende Dichotomie Genea – Sadea am Anfang der menschlichen Geschlechtergeschichte sieht, da sie auch nicht zuletzt im Tierreich beobachtet werden kann. Inwiefern die burgardische Dichotomie (Trestertas gegen Plegetas) vor oder nach der Anachrestardischen in der gesellschaftlichen Entwicklung auftrat (und ob überhaupt) ist bis heute heftig umstritten. Allgemein gilt das „burchomische Prinzip“ jedoch seit der späteren Revolutionszeit als „endgültig überwunden“ und „auf den Bereich tierischen Lebens begrenzt“, während man geneigt ist das „burgardische Prinzip“ als Norm anzusehen. Daneben existieren auch neuere Theorien oder Thesen, die weniger weit verbreitet sind, wie das „keupsoptanische Prinzip“ oder das Konzept des „Entras Agamas“.

 

Das „burchomische Prinzip“ besagt, dass das Leben nur den Zweck der Fortpflanzung kennt und verfolgt, weshalb auch in menschlichen Gesellschaften immer die Rollen des Gebärenden (Genea) und Samenspenden (Sadea) geprägt werden. Wenn wir die verqueren Ansichten mancher moderner Sekten oder Extremisten außen vor lassen, erhalten sich in den historisch nachprüfbaren Gesellschaften nur Substrate dieser Geisteshaltung, womit das burchomische Prinzip wohl nur in den archaischsten Kulturen seine volle gesellschaftliche Ausprägung erfahren haben mag. Mehr noch als in anachrestardischen Gesellschaften liegt hier ein Ungleichgewicht zwischen dem biologischen Mann und der biologischen Frau vor, die all ein auf ihre reproduktiven Funktionen reduziert werden; von einer „Geschlechtergerechtigkeit“ kann hier keine Rede sein. Das aus der biologischen Verhaltensforschung übernommene Prinzip wurde erst in jüngerer Zeit überhaupt in den Diskurs eingebracht, um die Forderungen mancher Gruppierungen zu umschreiben, die eine „Rückbesinnung auf die biologische Kernfamilie“ und ähnliche seltsame Forderungen vertreten. Derartige Seltsamkeiten können nur in Gruppierungen auftreten, die aufgrund ihrer extremistischen Gesinnung den magischen Fortschritt ablehnen, denn spätestens seit der Magischen Revolution ist die Menschheit von den tierischen Notwendigkeiten befreit und kann sich anderweitig fortpflanzen.

 

Historisch greifbar sind anachrestardisch geprägte Gesellschaften, die uns deutlich in der Klassik, vermutlich aber auch schon in der Antike begegnen. Die anachrestardische Dichotomie beschreibt Gesellschaften als zwischen den beiden Extremen der Agokyrea und Pyrikyrea angesiedelt. Dabei ist Agokyrea ist das Prinzip männlicher Dominanz. In agokyrischen Gesellschaften bildet der Mann in seiner Rolle als Ernährer das Oberhaupt der Familie und somit auch der Frau, während letztere ihrem Beschützer unterworfene, vom Ernährer abhängige Brüterinnen des Nachwuchses sind. Umgekehrt ist Pyrikyrea das Prinzip weiblicher Dominanz. In pyrikyrischen Gesellschaften bildet die Frau als Trägerin und Ernährerin des Nachwuchses das Oberhaupt der Familie und somit auch des Mannes, während letztere entbehrliche Beschützer und Ernährer der Mütter darstellen. Beide gesellschaftliche Richtungen neigen dazu das eine Geschlecht emporzuheben und das andere herabzusetzen, wobei auch hier das biologische Geschlecht poli ruma entscheidet. Die meisten antiken Gesellschaften lassen sich entweder als überwiegend agokyrisch oder überwiegend pyrikyrisch klassifizieren, wobei wir bei den antiken Erseven früh eine Entwicklung beobachten können, die dieses Prinzip vom biologischen Geschlecht löst und auf das gelebte Geschlecht überträgt; ähnliches begegnet uns dann auch im klassischen Iderusa, wenn auch mit zaghafteren Entwicklungsschritten. Da in diesen Gesellschaften bestimmte Rollen, Rechte und Privilegien an den Geschlechtern haften, kann auch hier von keiner Geschlechtergerechtigkeit gesprochen werden.

 

Die meisten antiken Kulturen entwickeln zur Klassik hin (oder noch während ihr) eine burgardische Vorstellung von Geschlechterrollen. Die zwischen dem Tresteras (Aktiven) und dem Plegetas (Passiven) unterscheidende burgardische Dichotomie löst sich von den Geschlechtern – sie ist im Sinne fortschrittlicher Sozialstrukturen insofern bedeutsam – haftet letztlich aber die anachrestardischen Vorstellung nur neuen Rollen an. Die Geschlechtergerechtigkeit ist selbst hier nicht gegeben, auch wenn das Geschlecht nun vollends sozial geworden und somit wählbar ist.

 

Es ist erstaunlich, dass die gesellschaftliche Entwicklung nach der Klassik bis in die Revolutionszeit hinein, keine nennenswerten Entwicklungen im Sinne eines Fortschritts erzielte, sondern lediglich burgardische Ideen gegen agokyrische oder pyrikyrische Aufwallungen verteidigte.

 

Die allgemein zugängliche und industriell verbreitete Magie seit der Revolutionszeit hat schließlich auch bedeutende Auswirkungen auf die Geschlechtergerechtigkeit, auf die menschliche Gesellschaft überhaubt gehabt. In einer Zeit, in der jeder Mensch das biologische Geschlecht annehmen kann, dass ihm gerade sinnvoll erscheint, haben an das biologische Geschlecht geknüpfte Rechte, Privilegien oder Vorstellungen keinerlei Berechtigung mehr; zumal die Fortpflanzung und somit der Erhalt des Menschen nicht mehr (nur) geschlechtlich erfolgen muss. Während die Optimisten diese Entwicklung unter dem „keupsoptanischen Prinzip“ zusammenfassen und als bedeutendsten Fortschritt seit der Abkehr des Menschen von burchomischen Prinzipien feiern, fürchten manche Pessimisten, dass hierdurch der „Entras Agamas“ entstanden sei und unsere modernen Gesellschaften letztlich zugrunde gehe. Doch im Sinne einer Geschlechtergerechtigkeit wäre es durchaus wünschenswert, wenn wir uns als „Entres Agames“ betrachten würden: Wie die burgardischen Jahrhunderte zeigen, müssen wir uns von dem Gedanken verabschieden, dass eine Geschlechtergerechtigkeit erreicht werden kann, ohne sich vom geschlechtlichen Konzept an sich zu trennen.

 


Worterklärungen

burchomisch – /burchomea/ wörtl. „die Fortpflanzung betreffend“; aus der Biologie stammende Lehre der Arterhaltung

 

Genea - „Gebärend“; das Prinzip nach dem ein biologisch weibliches Wesen den Samen eines biologisch männlichen Wesens empfangen will, um daraus neues Leben hervorzubringen und die Art zu erhalten.

 

Sadea - „Samenspendend“; das Prinzip nach dem ein biologisch männliches Wesen seinen Samen an ein biologisch weibliches Wesen geben will, damit daraus neues Leben entsteht und die Art erhalten wird.

 

anachrestardisch – wörtl. „den Respekt betreffend“; in der Geschichtswissenschaft geprägtes Konzept, demnach historische Kulturen das eine oder andere biologische Geschlecht bevorteilten und sich anhand dessen als „agokyrisch“ oder „pyrikyrisch“ klassifzieren lassen

 

Agokyrea - „Männerherrschaft“, sinngemäß „Patriarchalisches System“

 

Pyrikyrea - „Frauenherrschaft“, sinngemäß „Matriarchalisches System“

 

burgardisch – wörtl. „den Geschlechtsverkehr betreffend“; aus der Gesellschaftswissenschaft stammendes Konzept, demnach die soziale Rolle weniger dem biologischen als dem gelebten Geschlecht entspricht (auch „Ersevische Identität“).

 

Trestertas – sinngemäß „aktiver Partner beim Geschlechtsverkehr“; im Sinne der Gesellschaftswissenschaft das „sozial-männliche“ „Geschlecht“; in modernen Staaten wählbares Geschlecht, das u.a. zum Kriegsdienst herangezogen werden kann (oft mehr Rechte & Privilegien, dafür mehr Pflichten)

 

Plegetas – sinngemäß „passiver Partner beim Geschlechtsverkehr“; im Sinne der Gesellschaftswissenschaft das „sozial-weibliche“ „Geschlecht“; in modernen Staaten wählbares Geschlecht (oft weniger Rechte & Privilegien, dafür weniger Pflichten)

 

Padion – wörtl. „Kind“; im Sinne der Gesellschaftswissenschaft das „sozial-unbestimmte“ „Geschlecht“; in modernen Staaten „Standard“-Geschlecht für Minderjährige (kommt im obigen Text nicht vor, ist nur der Vollständigkeit halber hier)