Kaphtenu & die Phanecher

Im antiken Echyra waren die Phanecher vor allem für ihre wagemutigen Händler bekannt, denen man nachsagte das Meer bei jedem Wetter befahren zu können und deren Reisen nach Süden sie in unbekannte Länder Noronteas, des südlichen Kontinents, führten. Doch selbst Kaptea, wie die Echyren die Heimat dieses abenteuerlichen Volkes nannten, war bereits ein Ort über den mehr Märchen und Legenden erzählt wurden, als dass man etwas über ihn gewusst hätte.

Die Phanecher nannten ihre Heimat Kaphtenu, was einfach „Heimat“ bedeutet. Kaphtenu war vor allem die Bezeichnung jener nördlichen Küstenstriche und der weiten Ebenen bis zum Qotargebirge, in dem sich die ehrwürdigen Städte Echu, Irad, Retun, Sor und Kophal befanden. Diese „Heimat“ lag auf dem Bera, dem Festland, denn selbst der nördliche Kontinent Echyras galt den antiken Phanechern, vermutlich wider besseren Wissens, als Insel.

Wenn wir einigen aus der Antike erhaltenen Fragmenten trauen dürfen, hatten phanechische Seeleute Norontea bereits vor 800 Vor umrundet und trieben spätestens ab 700 Vor regen Handel mit den südlichen Völkern der Asamdza, Bogon und Maba, deren für die nördlichen Völker exotische Waren sie über Nexos bis weit in den Norden verkauften.

Die fünf altehrwürdigen Städte Kaphtenus, die man respektvoll „Anu Bilam“ („Die alten Fünf“) nannte, wuchsen erst im Lauf der Antike zu einem Kulturvolk zusammen, das sich zunehmend kulturell und sprachlich von den verwandten Völkern im Süden, in Gunubia, dem „Silberland“, zu unterscheiden begann. Die Bewohner des Silberlandes, die von Phanechern als „Gunubecher“ bezeichnet wurden, sich selbst aber später als Mokrer bezeichneten, wurden in der Antike von den Schmiedefürsten Gunub Zuls beherrscht. Das Imperium der Schmiedefürsten erstreckte sich bald vom südlichen Qotargebirge bis zu den westlichen und nördlichen Küsten des Daqol ("die Innere See") und breitete sich während der Antike um das gesamte Binnenmeer aus. In der Antike waren sie aufgrund des gunubischen Stahls ein mächtiges Volk, dessen Waffen, Rüstungen und andere Metallwaren in der ganzen Welt geschätzte und teuer bezahlte Stücke waren.

Die Sanocher stammten ursprünglich von den Einwohnern Sors ab, wurden jedoch bald nach der Stadtgründung Sanots als eigenes Volk begriffen, sowohl in der Selbst- als auch in der Fremdwahrnehmung. Der Grund für die Auswanderung der Sanocher und Gründung Sanots war der Kult des Gottes Sarkud. Dieser war seit den Anfangstagen Sors ein wichtiger Gott gewesen und schnell zum Stadtgott avanciert. Sein Kult wurde jedoch irgendwann in frühen Antike aus der Stadt Sor vertrieben und von den Auswanderern in Sanot angesiedelt. Diese Sanocher waren in vielerlei Hinsicht das Gegenteil der Phancher, denn sie waren fremdenfeindlich, wo jene gastfreundlich und interessiert am Fremden waren; waren konservativ, wo jene aufgeschlossen gegenüber Neuerungen waren. Und obgleich Sanot im Lauf der Jahrhunderte aufgrund seiner Lage mehrfach unter verschiedene Fremdherrschaft gelangte und dadurch kaphtenischen, gunubischen und demarischen Einflüssen ausgesetzt wurde, achteten die Sanocher stets so sehr darauf, unter sich zu bleiben und ihren Sarkud-Kult zu bewahren, dass sie lange Zeit eine archaische Form des sorischen Phanechisch pflegten. Moderne genetische Untersuchungen erlauben außerdem die Feststellung, dass die heutigen Sarkuden sich trotz einer gelegentlichen Vermischung mit fremden Konvertiten, auf eine bis nach Sanot zurückreichende Abstammung berufen können.

 

 

Geld regiert die Welt

Die Gesellschaft der Phanecher verband von Alters her den gesellschaftlichen Stand einer Person mit ihrem beweglichen und unbeweglichen Besitz. Wer viel hatte, galt viel.

Im Lauf der Antike bildete sich aus diesem Grundsatz ein äußerst differenziertes System der „Bürgerschaft“ aus, das je nach dem Besitz einer Person verschiedene Grade der Freiheit abstufte. An die Stelle des Blutadels, der sich in vielen anderen Gegenden der antiken Welt durchsetzte, entstand bei den Phanechern ein Geldadel. In den Anu Bilam wurde es bald nicht nur üblich, dass öffentliche Ämter als unbezahlten Ehren galten, sondern dass ein Kandidat auch eine gewisse Summe an die Stadtkasse entrichten musste, bevor er überhaupt zur Wahl antreten durfte.

Im Gegensatz zu vielen anderen antiken Gesellschaften war die phanechische Gesellschaft wesentlich offener im Hinblick auf den sozialen Aufstieg einer Person; auch wenn aufgrund der zahlreich vorhandenen Hürden ein sozialer Abstieg stets der wahrscheinlichere war. Nichtsdestotrotz träumten viele Sklaven und arme Tagelöhner von einem Aufstieg in die höchsten Ränge des Geldadels und hatten damit weit berechtigtere Chancen als anderswo. Daher galt Kaphtenu in der Antike als ein „Land der tausend Möglichkeiten“.

Die Angst vor dem sozialen Abstieg schuf in den Anu Bilam jedoch eine äußerst sparsame Kultur, in der Auswüchse des Luxus selten und zudem gesellschaftlich geächtet waren. In einem auf das 9. Jahrhundert Vor datierten Fragment rühmt sich der „König“ von Sor, dessen Titel sicherlich eher als Bezeichnung für einen Ratsvorsitzenden zu verstehen ist, er habe Zeit seines Lebens nur Haferbrei gegessen, wenn er nicht aufgrund der Gesetze zur Teilnahme am Opfermahl gezwungen war.

Doch nicht nur in den Städten, auch in den ländlichen Gebieten war Luxus verpönt, der übersteigerte Geiz jedoch ebenso. Gerade dort, wo die Landwirtschaft den Vorrang vor dem Handel genoss, lebten manche Bauernfamilien besser als so mancher Geldadlige in einer der großen Städte. Die Feste, die von der Landbevölkerung zu Ehren des jugendlichen Vegetationsgottes Athun oder seines Zwillingsbruders Phal abgehalten wurden, waren von Festmahlen, Musik und Tanz begleitet - was bei manchem Städter Argwohn erregte, aber wie erhaltenen Briefen zu entnehmen ist auch eine gewisse neidische Sehnsucht.

Wenn auch im Verlauf der Antike der von Norden her stammende Kult des Asiranas auch in Kaphtenu eine immer größere Verbreitung fand, war lange Zeit vor allem der Kult der Göttin Isarti der wichtigste religiöse Kult und selbst in jenen späten Zeiten, als ihre religiöse Bedeutung immer mehr schwand, noch lange sogar staatstragend - dem Ämterkauf sei Dank.

Isarti war eine uralte Göttin der Winde und wurde mit dem immer weiter florierenden Seehandel zur Schutzgöttin der Häfen und Seefahrer. Aus dem anfänglichen Dankesopfer der heimkehrenden Seefahrer wurde bald eine Zwangsspende, die jedes in einen Hafen einlaufende Schiff gemäß seiner Größe, seiner Besatzungsstärke und der Art und Menge seiner Ladung an den örtlichen Isarti-Tempel zu entrichten hatte - ein Art Hafengebühr kombiniert mit Zoll.

Bis zur Spätantike hatte der florierende Handel einen wachsenden Reichtum in den Schatzhäusern der Isarti-Tempel bewirkt und dieser Reichtum bildete nun den Beginn eines frühen Banken- und Versichungswesens.

Seitdem die Anu Bilam erstmals in einem „Fünferbund“ (Talbilamak) politisch vereint gewesen waren, arbeiteten die Isartipriesterschaften der Städte zusammen. Es wurde nun möglich Geld oder sonstigen beweglichen Besitz im Schatzhaus des Isartitempels der einen Stadt zu hinterlegen, um gegen Vorlage eines besonderen Talismans einen entsprechenden Geldwert im Schatzhaus des Tempels einer anderen Stadt zu erhalten. Aus den anfänglich kunstvoll gearbeiteten Talismanen aus Ton oder sogar Metall wurden schnell Schriftstücke, die schneller und einfacher zu produzieren waren. Viele Händler und Reisende nutzten die neuen Möglichkeiten begeistert; aber auch Fälscher waren aktiv, wie drastsiche Strafkataloge nahelegen.

Schnell wurde es möglich sich in einem Isartitempel auch Geld zu leihen, wenn man die Isartipriesterschaft als Allein- oder Teilerben für Ländereien und andere Immobilien einsetzte. Gelang es die geliehene Summe zurückzuzahlen wurde das Testament feierlich im Opferfeuer verbrannt. In diesem Zusammenhang muss sich auch schnell ein Zinswesen entwickelt haben, wie Funde von Lehrbüchern aus jener Zeit beweisen.

Irgendwann gegen Ende der Spätantike, die genaue Zeit lässt sich mangels aussagekräftiger Funde nicht genau bestimmen, konnten Händler ihre Schiffe, ihre Waren und sogar das Leben ihrer selbst oder ihrer Mannschaft bei einem Isartitempel „versichern“, bevor sie auf eine Handelsreise aufbrachen.

Etwa in dieser Zeit muss die Isarti-Religion jedoch ihren religiösen Charakter vollends verloren haben, da sich außer den mittlerweile im Geldverkehr üblich gewordenen Floskeln keine Stifungen oder Widmungen mehr an sie richten. 

Bemerkenswerter Weise haben sich im Lauf der Antike geprägte Bezeichnungen aus dem phanechischen Bankwesen bis ins moderne Echyrisch erhalten:

  • libais „Agio“ stammt von /libe‘ite/ „für das Haus“
  • minphais „Disagio“ stammt von /minbe‘itita/ „vom Haus weg“
  • pytheo „Bank“ stammt von /‘apithu/ „Opfergrube“, der Ort an dem die dem Tempel übergebenen Reichtümer aufbewahrt wurden, bevor es nötig wurde dafür eigene Schatzhäuser zu errichten
  • enritaso „Bankrott“ stammt von /(‘apithu) enritu‘ede/ „(die Opfergrube) ist leer“
  • nikale „Bilanz“ stammt von /ninqal/ „Waage“
  • chapho „Giro“ stammt von /chapa/ „Fluss, fließend“
  • kyphes „Bargeld“ stammt von /kuwal/ „(Ring-)Münze“
  • kaphe „Kapital“ stammt von /qobe/ „auf den Kopf“
  • halate „Zins“ stammt von /‘alatar/ „Frucht“
  • aryo „Kasse“ stammt von /‘arila/ „Korb“
  • chiron „Kredit“ stammt von /chirune/ „auf den Eid“
  • kanito „Konto“ stammt von /qanêt/ „Berechnung“
  • cholo „Netto“ stammt von /chôlil/ „rein (sein)“
  • biko „Finanzen“ und der Wortbestandteil bik- „Finanz-“ stammt von /bek/ „(Münz-)Geld“
  • hyka „Porto“ stammt von /‘iqu‘i/ „ich trage es“
  • baspino „Prokura“ stammt von /bôdbinora/ „durch die Hand des Sohnes“
  • reb „Rabatt“ stammt von /rebi/ „Abgeschlagener Teil“
  • sitad „Rest“ stammt von /situ‘ede/ „es ist übrig“
  • risak „Risiko“ stammt von /rizaq/ „Klippe“, da ein vom Sturm an die Klippen gedrängtes Schiff nicht nur das Leben des Besatzung bedrohte, sondern auch die wirtschaftliche Existenz ihrer Familien.
  • avazi-abomi „Eine Hand wäscht die andere“ ist eine verballhornte Form des phanechischen Opferspruches /‘awazêamônichedi ‘apmagêamônichedka/ „Schau, ich gebe dir dir, damit es dir möglich ist auch mir zu geben“