Die Urkunde von Mires

Asarylas, der Dritte seines Namens, war ein schwacher König. Der Kreis der Königlichen Gefährten – adliger Fürsten, die aufgrund ihrer tatsächlichen Macht oder einer überlieferten Tradition als einflussreich galten – hatte sich praktisch erhoben und in weiten Teilen des arrovelosianischen Reiches die Herrschaft an sich gerissen. Obwohl die Königlichen Gefährten keine einheitliche Fraktion bildeten und sich untereinander bekämpften, waren sie sich in ihren Bestrebungen sich von der königlichen Vorherrschaft zu lösen einig. Die Position des Königs wurde nur durch die Kyrakeia des Asiranas aufrecht erhalten, doch in dem Maße, in dem die Kirche seine Macht schützte, nahm sie diese auch für sich in Anspruch. Dem Reich drohte eine ungewisse Zeit des Bürgerkrieges, der durch heftige Schlachten, Pogrome und Aufstände aufgewiegelter Städter hier und da auch bereits aufloderte.

 

Als es einigen Königlichen Gefährten gelang den König Asarylas in ihre Gewalt zu bringen und in der Stadt Mires festzusetzen, schien der Bürgerkieg in aller Gewalt auszubrechen – doch so kam es nicht. Möglicherweise auf Drängen seiner Entführer berief der König eine Versammlung des Adels und der Kirche in Mires ein. Tatsächlich erschienen die meisten der geladenen Gäste und erlebten, wie der König dem Adel nicht nur eine Reihe von Rechten in Aussicht stellte, sondern diese auch urkundlich abfassen ließ.

 

Die „Urkunde von Mires“ bekräftigte die Freiheit der Kyrakeia vom Arrovelosianischen Reich und regelte das bislang nur auf Gewohnheitsrecht basierende Lehnsrecht, das sich in den Jahrhunderten entwickelt hatte und sicherte den Königlichen Gefährten im gleichen Zug zu, ein Veto gegen alle vom König noch zu erhebenden Steuern einlegen zu können. Die Adligen erhielten das Privileg nur von ihren Standesgenossen verurteilt werden zu können – nachdem sie zuvor durch vom König eingesetzte Richter verurteilt wurden, die in der Regel königliche Sklaven waren. Die königlichen Sklaven, die andere Verwaltungsaufgaben erfüllten und zuvor in seinem Namen Steuern und andere Geldzahlungen erheben und eintreiben, aber auch Verbannungen und Konfiszierungen durchführen konnten, verloren durch diese Urkunde in großem Maße an Macht und Einfluss.

 

Die Urkunde legte den Grund für das Beamtentum und schuf Aufgabenbereiche für dieses. Die hohen Beamten mussten von der Versammlung der Königlichen Gefährten bestätigt werden und es wurde festgelegt, dass nur jene Leute ein Amt übernehmen durften, die ihre Kenntnis der Gesetze nachweisen konnten.

 

Einige weitere Zugeständnisse rundeten die Urkunde ab. Schließlich wurde auch festgelgt, dass ein Rat aus 21 Adligen, die nicht gleichzeitig Königliche Gefährten sein durften, gebildet wurde. Dieser Adelsrat sollte die Einhaltung der in der Urkunde von Mires verbrieften Rechten kontrollieren und erhielt zusammen mit der Versammlung der Königlichen Gefährten die Macht, den König absetzen und einen Neuen ernennen zu können, sollte dieser die gewährten Rechte und Privilegien verletzen.

 

Die Urkunde von Mires bildete nach der Regentschaft Asarylas‘ eine wichtige Grundlage für die Stabilisierung des spätklassichen arrovelosianischen Reiches. Auf ihr gründen auch spätere Entwicklungen, wie die Bestätigung des Königs durch Versammlung der Königlichen Gefährten und Adelsrat, sowie schließlich die Königswahl.

 

Die Große Katastrophe, in deren Nachwehen das arrovelosianische Reich zerbrach, machten die Errungenschaften der Urkunde von Mires zunächst weitgehend zunichte. Doch die Wiederentdeckung, oder besser Wiederinkraftsetzung der Urkunde war prägend für die spätere Renaissance. Sie bildete die Grundlage für viele demokratisierende Prozesse im ehemaligen arrovelosianischen Gebiet und noch die moderne Verfassung Arveliens beruft sich in ihrer Präambel auf diese mehr als 2000 Jahre Urkunde.